Die Kunst der Tafelkultur – die Tafelkultur in der Kunst

Walter Schwarz zum Neunzigsten.

Auch wenn ich Walter Schwarz nie persönlich kennen gelernt habe, so ist er mir seit vielen Jahren ganz nah. In meiner persönlichen Tafelkulturbibliothek hat sein Werk „Der klassische Tafelservice“ mit seinen Bildern, die in der Frankfurter Villa Bonn aufgenommen wurden, seit langem einen Ehrenplatz. Auch in der Arbeit als ehrenamtlicher Kustos der Tafelkultur-Sammlung ist Walter Schwarz als einer der Gründerväter und Wegbereiter des neuen Kochkunst-und-Tafelkultur-Museums mir stets gegenwärtig. Sein langjähriger Wegbegleiter, Nachfolger und mein Vorgänger Hans Hermann Bödeker hat anlässlich des runden Geburtstages im vergangenen April und der derzeit laufenden Monet-Ausstellung im Städel einen Brief an das Museum verfasst und aus dem Archiv einen Text von Walter Schwarz aus dem Jahr 2006 über Monets Bild „Le Déjeuner“ beigelegt. Diesen Text möchten wir hier wiedergeben.

Mikael GB Horstmann

Claude Monet, Le Déjeuer 1868 | Bildquelle: Wikimedia Commons

Museumsbrief Nr.10 | Frankfurt am Main, im März 2006

Neues aus der Bibliothek des “Museum für Tafelkultur” in Frankfurt am Main.

Die Entwicklung der Frühstücksarten im 19.Jahrhundert verbunden mit kulinarischen Reflektionen zu dem im Frankfurter Städel beheimateten Gemälde “Le Dejeuner” von Claude Monet.

Text von Walter Schwarz, Museumsleiter

Unter einem Frühstück verstand man von der Mitte bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts vorwiegend ein Frühmahl, das aus Kaffee, Tee, Kakao mit Weißbrot, Butter, Konfitüren und Honig sowie diversem Gebaeck bestand. Davon abweichend entwickelten sich mit der Zeit, teilweise auch schon vorher, mehrere Variationen. Nach englischer Art konnte man diese Speisepalette weiter mit Fleisch- und Fischgerichten, dem schottischen Nationalgericht Porridge, sowie Schinken und Setzeier ergänzen.

Der Begriff “Frühstück” stand damals, bis noch weit in das 20.Jahrhundert hinein, als Oberbegriff für solche Mahlzeiten, die man in der Zeit von 7 Uhr 30 bis 13 Uhr einzunehmen pflegte, wobei der Übergang zum Mittagsmahl auch damals besser mit Gabelfrühstück, oder noch besser, mit der Erweiterung “Dejeuner dinatoire” bezeichnet wurde. Die Unterschiedlichkeit der Frühstücksarten jener Zeit sind weitgehends in den Schatten der Geschichte gerückt. Der Althistoriker Eduard Meyer (1855-1930) artikulierte dies so: “Historisch ist was wirksam ist oder gewesen ist.”

Beim englischen Frühstück hat der Nährwert ein besonderes Gewicht Der Wandel im 19.Jahrhundert hat die Ernaehrung im Vereinigten Koenigreich sehr stark beeinflusst. Man suchte nach Wegen in der Ernaehrung um Kraft und Gesundheit zu stärken. Nur noch wenige Komponenten aus der Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts, hinsichtlich des Oberbegriffes “Frühstück”, dauern bis heute fort.

Klare Abgrenzungen zwischen den damals unterschiedlichen Frühstücksformen drückten sich vorwiegend in der Benennung der Gasterei, dem organisatorischen Ablauf sowie den angebotenen Speisen und Getränken aus. Im wesentlichen waren die unterschiedlichen Frühstücksarten in sich doch mehr fließend und weniger starr. Ein ausgesprochenes Diner oder Souper dagegen passte sich mehr gesellschaftlichen Zwängen an. Ein Frühstück oder Gabelfrühstück, man konnte im Vereinigten Koenigreich auch Lunch sagen, war dagegen nicht durch ein formales Korsett eingeengt und es herrschte mehr Nonchalance. Selbst bei aufwendigen Frühstücken mit gesellschaftlichen Flair galt auch eine leicht eingeschränkte Entbürdung von Zwängen.

Das Frühstück entwickelte von Land zu Land eine sehr unterschiedliche Prägung, die, mehr oder weniger, landsmannschaftlich fassioniert sind. Die Niederländer kennen zum Beispiel das einfache Acht-Uhr-Frühstück mit Tee, Milch, Zucker, verschiedenen Brotsorten, kaltem Fleisch, Eiern, Marmelade und Butter. Die Franzosen bleiben zum Tagesanfang gerne ihrem “Petit Dejeuner” treu, das nur aus einer großen Tasse Milchkaffee und einem Croissant besteht. In den Niederlanden besteht das 10 Uhr 30-Fruehstueck aus Kaffee, heißer Milch, Zucker und Gebäck, jedoch um 12 Uhr 30 ist die üppige “Hollandse Koffietafel”, als sogenanntes zweites Frühstück traditionell, das allerdings mehr als ein Gabelfrühstück bezeichnet werden kann. Dieses Frühmahl hat auch eine stark geprägte Ähnlichkeit mit dem englischen Lunch.
Fortführende Formen eines Frühmahls münden stets in ein Gabelfrühstück oder einem sogenannten “Dejeuner dinatoire”, das über ein Gabelfrühstück hinausgeht und schon mehr einem Diner angepasst ist und stets und stets um 12 Uhr serviert wurde. Dieses Frühmahl bildete den Übergang zum eigentlichen Mittagsmahl und wurde zur Unterscheidung zeitlich früher angesetzt als das klassische Diner. Beim Rückblick in die Geschichte des Frühstücks kennen wir noch zwei weitere Arten von Frühmahlen wie zum Beispiel das “Englische- Kaffee- Dejeuner”, das schon um sieben oder acht Uhr morgens, in der Regel in einem Park serviert wurde. Diese Form des Frühstücks entspricht mehr einem Picknick am frühen Morgen. An Speisen wurden dann angeboten: Aufgeschnittenes kaltes Fleisch, dünne Butterbrote, Kuchen, Brioche, Zwieback, kleine Mundhappen und weichgekochte Eier. An Getränken: Kaffee, Tee, Schokolade, Bouillon, Südwein und Tafelwein. Dieses “Englische Kaffee-Dejeuner” wurde von einem Trompeter-Korps musikalisch umrahmt. Eine weitere übliche Veranstaltungsform im 19. Jahrhundert nannte sich “Dejeuner dansant” oder auch “Russischer Ball”. Dies war wiederum eine Art Gabelfrühstück, das um die Mittagszeit serviert wurde. Nach dem Mittagessen begann der Tanz und dauerte bis 19 Uhr am Abend. Gegen 15 Uhr 30 wurden Kaffee, Limonaden, Römischer Punsch, Desserts und Eierspeisen in diversen Variationen zusammen mit einer Auswahl von Schnäpsen und Likören angeboten.

Eine spezifisch deutsche Manier von Frühstück wurde während der Reichskanzlerschaft von Fürst Otto von Bismarck unter dem Namen “Parlamentsfrühstück” bekannt. Dieses Frühmahl bestand aus einem Kalten Büffet, wobei die Weine und sonstigen Getränke, mit Ausnahme von Bier, mit auf dem Anrichtebüffet oder an einem kleinen Seitentisch aufgebaut waren. Die Gäste bedienten sich selbst und nahmen an einer aufgedeckten Tafel platz. An der Tafel wurden sie von Parlamentsdienern nur mit Bier bedient. Andere Getränke holten sich die eingeladenen Gäste vom Anrichtetisch. Aus dieser speziellen Form eines Frühstücks entwickelte sich später der heute allerorts noch übliche Frühschoppen.

Was ist nun aus den vielen unterschiedlichen Frühstücksformen der früheren Zeit bis heute geblieben? Die Franzosen halten an ihrem “Petit Dejeuner” und “Dejeuner” fest, die Briten und Niederländer pflegen ihre üppigen Frühstücksformen wie andere Länder die dort üblichen, mehr oder weniger unserer heutigen Zeit angepassten, Frühmahl-Arten. Die Gesamtpalette hat sich stark reduziert und die über den Tag verteilten Mahlzeiten sind in den europäischen Staaten oft unterschiedlich ausgerichtet und haben ihre landsmannschaftliche Prägungen, Eigenständigkeiten und reichliche Originalität bewahrt oder weiterentwickelt.

Kulinarische Reflektionen zu dem Gemälde “Le Dejeuner” von Claude Monet.

Das Gemälde “Le Dejeuner” zeigt auf dem Tisch Rudimente der vorgesehenen Speisenfolge wie wachsweiche Eier, gedacht als ein Voressen auf dem Teller der Mutter und des noch fehlenden Vaters. Auf dem Teller des Kindes ist eine kindgerechte Speise angerichtet, die es dann mit dem kleinen Löffel, mit dem es vorläufig noch spielte, aufisst. Die Tischmitte ist ausgefüllt mit einer Platte, auf der kurzgebratene Fleischstücke, wahrscheinlich Lammkoteletten oder kleine, unpanierte, Schweinekoteletten auf gebratenen Kartoffelscheiben, angerichtet sind. Mehr dahinter, am Rande des Tisches, steht eine gefüllte Schüssel mit unangemachtem Kopfsalat. Obenauf liegt ein Salatbesteck. Die Menage mit Essig und Öl steht daneben für den Hausherren bereit. Der Salat wurde von Monet stets selbst, mit einer einfachen Salatmarinade, bestehend aus Pfeffer, Salz, Essig, und Öl angemacht. Seine besondere Spezialität war, den Salat vorzugsweise scharf anzumachen.. Seine Rezeptur für Salatsaucen war stets einfach und schlicht. Gekünstelte Kochregeln lagen ihm absolute nicht. Das anmachen von Salat betrachtete Monet stets als seine Sache, als persönliches Ritual.

Das Konfitürenglas fügt sich in die von Monet geschaffene Bildregie ein und gibt zu erkennen, dass es sich um ein spätes Frühmahl handelte. Ungewöhnlich ist, dass die geöffnete Flasche Rotwein noch nahezu voll ist, aber im Glas seiner Frau Camille bereits Wein eingegossen war. Es ist nicht auszuschließen, dass sich im Glas von Monets Frau ein anderes Getränk befand. Dies bleibt bemerkenswert, da Monet der Tischkultur in seinem Privatbereich einen hohen und wichtigen Rang einräumte. In der Regel hätte er kaum geduldet, dass vor seiner Anwesenheit bei Tisch der Tischwein, oder auch ein anderes Getränk, eingegossen wurde. Mit seiner ersten Frau Camille ,in den noch frühen Jahren seines Schaffens, pflegte Monet noch einen frugaleren Stil bei Tisch. Dies änderte sich, nach dem Ableben seiner Frau Camille im Jahre 1878, mit Alice Hoschede, seiner zweiten Ehefrau. Je weiter man sich in das Bild vertieft, umso mehr wird dem Betrachter in der Bildgestaltung eine ultimative Großzügigkeit des Künstlers deutlich. Das Weißbrot, die Trauben sowie die gefüllte Wasserkaraffe neben der Rotweinflasche signalisieren wiederum Teile wiederum Teile einer in sich logischen Speisezusammenstellung. In der Haltung der Personen drückt sich die Stummheit des Abwartens aus. Dies wird besonders deutlich in der Pose und dem Gesichtsausdruck der Bediensteten. Das Verharren der abgebildeten Personen galt dem noch an diesem Frühmahl fehlenden Hausherren. Die auf dem Bild lastende Ruhe wird nur unterbrochen von seinem quengelnden Sohn Jean, der mit seinem kleinen Löffelchen spielt. Die dargestellte Szene ereignete sich in einer Zeit, in der es Monet und seiner jungen Familie wirtschaftlich nicht besonders gut ging.

Das Gemälde entstand im Jahre 1868 und wurde 1906 vom Städel erworben. Auf welchem Entwicklungsstand befand sich damals die kulinarische Welt in Frankreich? Die Reifung der elitären Französischen Küche, im allgemeinen Sprachgebrauch “Grande Cuisine”, einer Wortschöpfung des Küchengenies Marie Antoine Carême, genannt, war in jener Zeit bereits weit über die Hälfte ihrer gesamten Entwicklungszeit hinausgewachsen. Diese Hochküche war wenig vergleichbar mit der gewachsenen, evolutionären Küche. Sie war mehr eine Experimentierküche großer kochkünstlerischer Talente. In diesem Jahr ist diese Seitenentwicklung neben der emotionalen Küche, wenn man die Ankunft der toskanischen Prinzessin, Katharina von Medicis, im Jahre 1533 in Paris als Geburtsstunde der modernen Kochkunst betrachtet,473 Jahre alt. Von sieben Küchenreformern bis heute, war Jules Gouffé in der frühen künstlerischen Wirkungsphase Monets, mit seinem Hauptwerk “Le Livre de Cuisine”, das 1867 in Erstauflage bei Hachette in Paris erschien, der dritte Wegbereiter der “Grossen Küche” im historischen Durchgang.

Gouffé wurde von den langjährig in Berlin tätigen kaiserlichen Hofköchen, Urbain Dubois und Emile Bernard, abgelöst, die mit ihrem bahnbrechenden zweibändigen Werk “La Cuisine classique”,das erstmalig im Selbstverlag 1856 in Paris erschien, sich durchzusetzen begannen und den Thron dieser Hoechstform der Kochkunst bestiegen. Erst Ende des 19.Jahrhunderts fällt der Startschuss für die moderne Grosse Küche des 20.Jahrhunderts, mit dem sechsten Reformer Prosper Montagne, der sein prächtiges Werk “Le Grand Livre de la Cuisine” erstmals 1900 herausbrachte. Schon zwei Jahre danach wurde die Entwicklung der “Grande Cuisine” von Auguste Escoffier, mit seiner Enzyclopaedie “Le Guide Culinaire”, deren Erstauflage im Jahre 1902 auf dem Buchmarkt erschien, vorläufig abgeschlossen. Die letzten beiden Schrittmacher der Grossen Küche, Montagne und Escoffier, blieben bis heute die hochtalentierten wichtigsten Ideengeber für die Hochküche des 20.Jahrhunderts.In diese wichtigste Entwicklungsphase der Erneuerung fiel die Lebenszeit und der künstlerische Aufstieg von Claude Monat.
Diese Zeit war mehr denn je ein kulinarisches Zeitalter, nach dem Übergang in das 20.Jahrhunderts geradezu eine Epoche des großen Aufbruchs zu neuen Ufern. Monets Interesse an feinschmeckerischen Dingen war lustvoll geprägt und bildete somit auch einen wichtigen Teil seines Lebensstils. Aller Wahrscheinlichkeit nach verfolgte er den historischen Entwicklungsgang der Kochkunst, während seiner Lebenszeit mit großer Aufmerksamkeit. Dieser Gedankengang lässt sich aus den Rezeptaufzeichnungen “carnet de cuisine”, von denen insgesamt sechs Exemplare überliefert sind, schließen. Er war keineswegs ein im privaten Bereich praktizierender Freund der Kochkunst, sondern mehr ein Anreger. Niemand hat ihn je hinter einem Küchenherd erlebt. Er vermeidet es sogar, eine Küche zu betreten.

Sein Werk “Le Dejeuner” entstand in seiner frühen Schaffenszeit und drückte schon damals sehr deutlich seinen wachen Sinn für die Freuden der Tafel aus, trotz der beschränkten Verhältnissen in der seine Familie damals noch leben musste. Die Sinngebung des Tafel-Arrangements ist völlig subjektiv, häuslich familiär, und drückt den wesenseigenen Charakter des Künstlers in ganz besonderer Weise aus. Dies änderte sich langsam, als er mit seiner zweiten Frau Alice in sein neu erworbenes Haus in Giverny einzog. Die Tafelfreuden des Fin de siecle haben ihn voll umarmt und bis zu seinem Ableben ständig interessiert. Seine zweite Frau Alice starb bereits 1911. Monet überlebte sie bis zu seinem Todesjahr 1926. Monet war, so würde man heute sagen, ein ausgesprochener Gastro-Freak, trotz mancher Einfachheit, der liebend gerne Inspirationen zu kulinarischen Dingen weitergab, aber keine eigenen Kochanleitungen entwickelte. Dies überließ er seiner Frau, seiner Köchin oder den gelernten Köchen. Seine auf dem Bildwerk “Le Dejeuner” interpretierten Anregungen des Kulinarischen schöpfte der Künstler Monet aus der Kochkunst seiner Zeit. Dieses Denkbild eines Frühstücks war sehr auf seine Person ausgerichtet.

Walter Schwarz
Leiter des Museum für Tafelkultur